Italien ist zum Sperrgebiet geworden. Ich sehne mich nach Rom. Nach der Sonne, dem Leben, den Menschen. Doch kann ich im Moment diese Sehnsucht nicht stillen.
Niemand von uns konnte sich wohl vorstellen, wie schnell sich das Leben verändern kann. Von einem Moment auf den anderen sind viele Dinge, die wir gerne tun, nicht mehr möglich. Wie zum Beispiel eine Reise nach Rom. Italien ist zur „Zona rossa“ geworden, zu einem Sperrgebiet mitten in Europa. Die Menschen, so will es das Dekret, das am Sonntag von Ministerpräsident Conte verabschiedet wurde, müssen zu Hause bleiben. Museen, Kinos, Kirchen, Bars sind geschlossen. Das Land steht still. Die Zahl der Erkrankten und die Zahl der Menschen, die am Virus sterben, ist so stark angestiegen, dass diese Maßnahmen dazu beitragen müssen, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen und die Menschen zu schützen.
Heute morgen habe ich von einem Arzt in Bergamo gelesen, der sagte, dass sie im Krankenhaus an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Das Personal arbeite Tag und Nacht, immer mehr Kranke werden eingeliefert, zu wenig Ärzte, zu wenig Personal, zu wenige Betten. Eine adäquate Versorgung der Erkrankten sei kaum mehr möglich. Nicht mehr nur alte Menschen erkranken an Covid-19, an Lungenentzündungen, auch jüngere Menschen seien vermehrt betroffen.
Die Betten in den Krankenhäusern belegt, andere Patienten haben kaum mehr Platz. Sollte jemand einen Herzinfarkt erleiden, sagt der Arzt, dann werde es schwierig. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es ist, Angst davor haben zu müssen, dass das Gesundheitssystem zusammenbricht.
#i_love_rome
In Rom, die Straßen leer. Bars und Restaurants seit Donnerstag morgen ganz geschlossen, einkaufen dürfen die Leuten nur, wenn nicht mehr als eine bestimmte Anzahl an Menschen im Laden ist. Stehen sie in der Schlange, ist Abstand zu halten. Die alten Eltern grüßt man von weitem, der Nonna winkt man nur noch zum Fenster hoch, denn sie sind besonders gefährdet. Die Entscheidung, das ganze Land als Risikogebiet einzustufen, kam wohl auch daher, dass die jungen Menschen die Gefahr nicht so richtig ernst genommen hatten und sich zum Beispiel in Rom weiterhin getroffen und wie gewohnt gefeiert hatten. Dass sie alle Nonnas und Nonnos und vielleicht ältere Eltern haben, die sie gefährden könnten, war ihnen wohl erstmal nicht so klar.
Nun muss ein Volk, das von der sozialen Interaktion lebt, damit klarkommen, dass man eben diese nicht mehr leben kann. Keine Küsschen, keine Umarmungen, keine gemeinsamen Restaurantbesuche. Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, wie etwa der Rapper Jovanotti oder der Rocker Vasco Rossi, haben die Menschen dazu aufgerufen, das Dekret unbedingt zu befolgen und daran erinnert, dass es jetzt eben nicht nur um den Einzelnen geht, der vielleicht auf seinen Spaß verzichten muss. Für wie lange weiß niemand.
#ich_bleib_zu_hause
Unter dem Hashtag #iostoacasa (ich bleibe zu Hause) melden sich zahlreiche Italiener und Italienerinnen auf Instagram zu Wort und zeigen damit, dass sie die Anordnungen befolgen.
Am Freitag noch bekam ich eine WhatsApp von einer Freundin. Rate mal, wo ich gerade bin, schrieb sie, und schickte mir ein Bild meines Friseurs mit. Gerade noch rechtzeitig ist sie am Sonntag nach Deutschland zurückgekehrt.
Der Friseur hat seit Montag geschlossen. #iostoacasa postet auch er auf Instagram. Ich bleibe zu Hause.
Meine Schneiderin schreibt: Um mich und andere zu schützen, bleibe ich zu Hause. Nun arbeitet sie von zu Hause aus und wartet wie alle anderen ab, dass sich die Kurve abschwächt. #flattenthecurve
Was man dabei leicht vergessen kann: Viele Menschen in Italien haben keine Absicherung (wie natürlich in Deutschland auch nicht, wenn sie selbständig sind oder stundenweise bezahlt werden), wer nicht arbeitet, verdient kein Geld – und kann auch seine Angestellten nicht bezahlen. Wie lange kann ein Land so etwas tragen?
Besonders traurig machte mich der Post der deutschen_roemerin, die sehr erfolgreich Rom-Touren anbietet. Sie schreibt auf Instagram, dass sie nicht wisse, welche Folgen auf sie und ihr Team zukommen. „Dass wir momentan nicht arbeiten können, keinen Verdienst mehr haben, macht uns nicht mürbe – wir werden kämpfen und hoffen, dass es weiter gehen wird … aber ob es reicht um zu überleben, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.“ Weiter schreibt sie, dass jeden Tag unzählige Stornierungen hereinkommen, auch schon für Touren, die erst im Mai oder gar im August stattfinden. Und nicht nur das: Die Menschen schreiben mit wenig Verständnis, gar mit Verachtung und fordern das Geld zurück – das sie, wie in ihrem Post zu lesen ist, natürlich erhalten werden.
Italien war bis vor kurzem für die meisten ein Land, von dem sie träumten, ein Land, in dem die Zitronen wachsen und Leichtigkeit herrscht. Um es einmal ganz klar zu sagen: Italien kann nichts dafür, vom Corona-Virus so stark betroffen zu sein. Auch wenn die Angst vor dieser unsichtbaren Bedrohung verständlich ist, sollten wir doch mit Bedacht und vor allem mit Solidarität handeln.
Leider offenbart diese Corona-Krise nicht die beste Seite der Menschen. Die einen hamstern Klopapier und nehmen dafür Prügeleien in Kauf (Australien), die anderen klauen Desinfektionsmittel von Kinderkrebs-Stationen (Deutschland) und die nächsten beleidigen Menschen aus China (leider wohl an vielen Orten).
In den letzten Jahren hat sich der Blick vieler Menschen verstärkt auf sie selbst gerichtet. Nun haben wir die Gelegenheit, auch wieder auf andere zu achten und näher zusammen zu rücken. Nicht im Wortsinn natürlich (der Virus kann nach einer aktuellen Studie aus China eine Distanz von über 4,50 Meter überwinden, also Abstand halten!), sondern in einer ganz neuen oder vielleicht auch einer ganz alten Form.
Mal wieder an alle denken
Wir könnten uns in diesen Krisenzeiten unterstützen. Mit Liebe, Zuspruch und vielleicht auch mit Spenden, wir könnten teilen (Klopapier, Desinfektionsmittel, Liebe), wir könnten aufhören, nur an uns zu denken. Wir müssen Händewaschen, in Ellenbogen niesen, zu Hause bleiben, wenn es uns nicht gut geht oder wenn wir dazu aufgefordert werden. Das nennt man Herdenschutz, denn wir alle können nur in einer Herde überleben.
Vielleicht haben wir mit diesem Virus die Möglichkeit, uns wieder etwas mehr Menschlichkeit zurückzuholen und das Wort Solidarität – dem „Zueinanderstehen“, der Gemeinsamkeit, dem Füreinander – wieder zu (be-)leben.
Foto: Silvia, Instagram: legallinelle, deutsche_roemerin