Fausto Delle Chiaie: Einen Picasso zum halben Preis

Der Künstler Fausto Delle Chiaie beobachtet die Welt genau. Seine Werke sind nicht in einer Galerie ausgestellt, sondern im „museo all‘ aria aperta“ – seinem Museum unter freiem Himmel. Ein Besuch bereichert das Leben, vielleicht sogar mit einem Picasso.

 

 

Fausto Delle Chiaie ist ein außergewöhnlicher Künstler und ein außergewöhnlicher Mensch. Sein Sinn für Humor ist überaus ansteckend und selten hatte ich bei einem Gespräch über Kunst so viel Spaß.

Seit über 20 Jahren zeigt er seine Werke in seinem Museum „all‘ aria aperta“ zwischen dem Mausoleum des Augusto Imperatore und dem Museum Ara Pacis mit dem Friedensaltar. Während unseres Gesprächs kommt ein befreundeter Künstler vorbei und sagt: „Fausto ist großartig. Man möchte sagen, er ist ein Adliger“.

 

 

Wer gerne einen Delle Chiaie besitzen möchte: Kaufen kann man die Werke nicht – aber eines mitnehmen und dem Museum dafür eine Spende geben.

 

Signor Delle Chiaie, wie kommt es, dass Sie hier ein „museo all‘ aria aperta“ – ein Museum unter freiem Himmel – haben?

Weil bereits ein Museum da war! Es fehlten nur die Details. Die Monumente hier um uns herum sind ja bereits Werke, aber ich habe die kleinen Arbeiten hinzugefügt. Ein Museum unter freiem Himmel ist zu einfach. Man muss dies in den kleinen Details zeigen. Denn sonst ist es unsicher, ob dies nun ein Museum unter freiem Himmel ist oder nicht.

 

 

Das Museum ist täglich von 17 – 21 Uhr geöffnet, wann haben Sie denn Zeit für neue Kunstwerke?

Sobald ich ein Objekt oder ein Stück Papier finde, beginne ich mit der Arbeit. Ich male zu Hause oder auch im Zug, mit dem ich täglich nach Rom komme. Mein Atelier habe ich immer dabei.

Als ich das erste Mal hier vorbei kam, haben Sie mir eine wunderbare Zeichung geschenkt. Darauf steht Ihr Name und Sie sagten, dass ich ruhig mal nach Ihnen im Internet suchen könne. Sind diese Zeichnungen Ihre Visitenkarte?

Ich gebe den Leuten oft ein kleines Bild mit meinem Namen und sage Ihnen, dass ich der Verantwortliche des Ganzen bin. Das Bild mit meinem Namen reist dann um die Welt.

Wenn der der Besucher zu Hause im Internet nach meinem Namen schaut, kann er den Platz sehen, auf dem er war. Es ist ein Besuch des Besuchers. Denn wichtig ist, da zu sein, verstehen Sie?

 

 

 

"Zu sagen oder zu schreiben, dass Rom ein Museum unter Offenem Himmel sei, ist zu einfach. Man sollte es in den kleinen Einzelheiten zeigen."

 

Viele Leute bleiben stehen und schauen sich Ihre Werke an, wollen mit Ihnen sprechen. Ist das immer so?

Nein, sicher nicht. Manche laufen einfach vorbei.

Sind die Leute zu sehr in Eile?

Die Werke sind kleine Details. Die Leute, die nicht stehen bleiben, sehen diese nicht. Wenn man schnell geht, sieht man eben nichts. Deshalb rate ich dazu, langsam zu gehen.

 

 

Die Ausstellung hat einen Anfang und ein Ende. Oder ein Ende und einen Anfang.

Man fängt auf der einen Seite an, hier zum Beispiel ist ein Ende, deshalb liegt hier als Symbol eine Zigarettenpackung. Das Ende, weil rauchen tötet, so wie es auf den Packungen steht.

 

 

Wie entstehen Ihre Arbeiten?

Durch die Objekte selbst. Diesen Umschlag hier zum Beispiel hat mir eine Galeristin geschenkt. Ich habe die Dame als Absender eingetragen und den Umschlag dann an mich adressiert. Das Bild dazu ist zur Olympiade entstanden. Das Foto habe ich in einer Zeitschrift gefunden und dann dazu den Schwimmer gemalt. Die Arbeit heißt: Delivered.

 

Delivered.

 

Oder zum Beispiel das Werk Guida turistica, Reiseleiter. Bevor ich mit meinem Museum an diesen Platz kam, war ich an anderen Plätzen und sah immer diese Gruppen, die aus den Bussen ausstiegen, einen Kopfhörer bekamen und hinter jemandem her liefen. Ich machte damals eine noch größere Arbeit dazu, das hier ist übrig geblieben.

 

Guida turistica – Reiseleiter.

 

 

Hier sehen Sie die Arbeit „Dopo il gelato – after the ice-cream“. Die beiden Eisbecher habe ich gefunden und da man nach einem Eis immer gerne etwas trinkt, steht ein Wasser dabei. Heute ein Eistee, den habe ich von Zuhause mitgebracht.

Wichtig bei meinen Arbeiten ist übrigens der Titel. Der Titel ist die Kunst!

 

"Dopo il gelato – after the ice-cream"

 

Können Sie denn von den Einnahmen leben?

Wenn man eine Spende macht schon. Man nimmt eine Arbeit mit und macht dem Museum eine Spende.

 

 

Ich habe gehört, dass Sie dieses Jahr vom spanischen Pavillon zur Biennale in Venedig eingeladen wurden.

Ich wollte immer nach Venedig, ich werde mal hinkommen, habe ich immer gesagt. Dieses Jahr war ich mit anderen Künstlern vom Spanischen Pavillon eingeladen.  Ich habe meine Werke mit den Titeln in meinen Handwagen gepackt und den Wagen in die Vitrine gestellt.

Sie haben Ihre Arbeiten nicht ausgepackt?

Nein. Die Besucher konnten sich ja das Video anschauen.

 

"Proprieta dell' autore – Property of the author".

 

Früher haben Sie Ihre Arbeiten an verschiedenen Orten in Rom gezeigt, an diesem Platz sind Sie seit über 20 Jahren.

Ich bevorzuge einen festen Platz, weil ich hier alles unter Kontrolle habe. Ich bekomme mit, wenn etwas nicht da ist, wo es hingehört. Früher blieben die Werke, wo sie waren und ich wusste nicht, ob sie noch da waren, wenn ich zurückkam.

Wenn die Sachen hier verschwinden dann ist das ein Teil der Galerie und gehört dazu. Zum Beispiel bei der Opera trafugata. Jemand hat das Werk mitgenommen und deshalb heißt es jetzt „Opera trafugata – work stolen“.

 

 

Das Museum ist unter freiem Himmel. Was tun Sie, wenn es regnet?

Dann öffne ich den Regenschirm. Wenn es regnet nehme ich nur das Buch, das es über mich gibt, weg.  L‘ arte e temp. Der Rest kann bleiben. Im Buch habe ich geschrieben, der Regen verbessere meine Werke. Manche. Nicht alle. Natürlich ist schönes Wetter besser, aber wenn etwas abgewaschen wird, muss ich es eben neu machen.

 

"Die Hommage ist zu kaufen". Fausto Delle Chiaie, 'L'Arte? Rubbish!', Electa, Milano 2010

 

Sie sind in Rom geboren, leben jetzt aber außerhalb und kommen jeden Tag nach Rom, um Ihre Werke hier auszustellen und damit das Museum zu öffnen. Haben Sie außer dem Museum einen Lieblingsplatz in Rom?

Mein Lieblingsplatz liegt oberhalb des Kapitols. Von dort oben sieht man das antike Rom, das Forum Romanum. Früher bin ich oft hingegangen und habe Skizzen in schwarz-weiß gemacht. Mir gefallen diese Ruinen, die Säulen.

Seit wann sind Sie Künstler?

Schon immer. Ich habe 1971 die Scuola libera besucht und habe aber immer nur gemalt. Das andere hat mich nicht interessiert, ich wollte immer nur malen.

Mit den Ausstellungen unter freiem Himmel habe ich 1984 begonnen. 1982 lebte ich in Brüssel mit meiner Freundin. Ich arbeitete sehr viel und das ganze Haus war voll mit meinen Kunstwerken. Dann bin ich 1984 nach Rom zurückgekehrt und hatte so viele Arbeiten, dass ich sie den Galerien und den Museen schenkte. Manche habe ich unter dem Mantel versteckt in Museen gebracht und dort gelassen. Man kann die Kunst nicht wegwerfen. Die Ideen sterben nicht, auch wenn die Arbeiten schon vor längerer Zeit entstanden.

Sie haben gerade eben einen Picasso ‚a meta prezzo‘ verkauft.

 

 

Wir hätten auch gerne einen Picasso zum halben Preis.

Signor Fausto malt uns in zwei Minuten einen Picasso ‚a meta prezzo‘.

Ich habe das so schnell gemalt wie Picasso. Wenn Picasso nicht schnell gemalt hat, hat es nicht funktioniert. Immer wenn er etwas Schönes gemalt hat, ging das schnell.

 

 

 

Würden Sie denn gerne Ihre Kunstwerke in einem Museum sehen oder brauchen Sie den Kontakt mit den Menschen?

Mit den Leuten in Kontakt zu kommen ist wichtig, weil das eine umfassende Kommunikation ermöglicht. Ich möchte, dass die Leute mich verstehen. Wenn man ein Kunstwerk nur sieht, dann denkt man, der ist verrückt. Ich mache mehr als ein Kunstwerk, also muss ich noch viel verrückter sein.

Ich habe den Satz des Physikers Carlo Rovelli aufgeschrieben, den er in einem wissenschaftlichen Beitrag über Einstein, Sokrates, Quarks und Schwarze Löcher geschrieben hat. Der Satz lautet: „Ma se non proviamo a capire non capiremo mai.“ Wenn wir nicht versuchen zu verstehen, werden wir es nie verstehen.

Das ist das Konzept des Lebens, versuchen zu verstehen, weiter zu gehen, vorwärts zu kommen.

 

"Wenn wir nicht versuchen zu verstehen, werden wir es nie verstehen."

 

Mehr Kunstwerke von Fausto Delle Chiaie

Für eine vergrößerte Ansicht einfach auf ein Bild klicken.

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Info

Das Museum ist täglich von 17 – 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei, Spende willkommen.

Hinkommen: Das Museum „all‘ aria aperta“ befindet sich direkt vor dem Museum Ara Pacis mit dem Friedensaltar. Zum Wegweiser von google maps.

Einen Film mit Fausto Delle Chiaie gibt es auf Vimeo (mit englischen Untertiteln).

Hinweis

Um sich als Sammler Delle Chiaies zu bezeichnen, muss man mindestens drei Kunstwerke von ihm besitzen. So steht es im Buch  Fausto Delle Chiaie, ‚L’Arte? Rubbish!‘, Electa, Milano 2010, geschrieben.

 

Fotos: Joe Cavallucci

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Kommentare

4 Antworten zu „Fausto Delle Chiaie: Einen Picasso zum halben Preis“

  1. Mathias Ewert

    Was mich heute so berührt hat , waren Faustos kleine ansprechende Exponate mit geschärftem Auge und viel Witz. Herrlich!
    Und als er mich dann noch anpfiff, sah ich das Doppelbild und machte daraus ein Drittes. Eine kleine Spende, ein kurzer Plausch und ein Fausto Autogramm machten diesen Besuch unvergesslich.
    Ich ärgere mich etwas, dass ich keines von seinen Kunstwerken gekauft habe.
    Danke Fausto für deine Offenheit und dein Sein. Mathias

    1. Silvia

      Lieber Mathias, ich finde Fausto wunderbar. Da Du ja leider nichts bei ihm mitgenommen hast, musst Du Rom und Fausto einfach nochmal besuchen. Herzliche Grüße, Silvia

  2. Nini

    Fausto in Rom zu treffen, war wohl eine meiner schönsten Begegnungen. Ein sehr liebenswerter Mensch und er schafft es mit seiner Kunst jedem interessierten ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

    Die Fausto Originale haben einen Ehrenplatz in meinem Heim bekommen und sind meine liebsten und auch originellsten Kunstobjekte aus Rom.

    Liebe Grüße

    1. Silvia

      Liebe Nini,

      das freut mich sehr zu hören! Uns ging es genauso!

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