Zwiegespräche mit den Toten von Palermo

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Dunkle Nischen, offene Särge, verstaubte Mumien: Wer in die Katakomben von Palermo hinabsteigt, trifft auf Verstorbene aus vergangenen Jahrhunderten. Ein Museum, das niemanden kalt lässt.

Vespas knattern im Sonnenschein, Autos brausen hupend vorbei, Reisegruppen parlieren wartend auf Holländisch, Französisch, Spanisch. Auf der Piazza Cappuccini ist viel los an diesem Frühsommertag.

Die, die hier warten, wollen einen Blick in die vergangenen vier Jahrhunderte des palermitanischen Totenkults werfen: Das Kellergewölbe des ersten Kapuzinerklosters Siziliens ist ein Friedhof mit über 8.000 Toten, davon sind 2.000 heute noch so gut erhalten, dass sie für das zahlende Publikum ausgestellt sind.

Kurz vor drei öffnet sich überpünktlich die unscheinbare Holzflügeltür und heraustritt „Fra Calogero“, ein Kapuzinermönch in brauner Kutte mit einem Seil um den dicken Bauch. Energisch winkt er die Wartenden hinein, von denen einige für einen Moment verstummen. Die letzte Chance zu kneifen.

Noch einmal tief durchatmen und dann schnell vorbei an den Gruppen, die sich noch mit ihren Führern verständigen müssen. Im leicht abwärts geneigten Gang verblasst die Kakophonie des großen Platzes zum fernen Rauschen. Am Ende des Ganges ist es still, so still wie man es an einem solchen Ort erwartet. Die Luft riecht nicht mehr nach Sommer und Abgasen. Sie riecht  auch nicht wie erwartet nach Moder oder Mottenpulver. Sie riecht nach nichts.

Die Toten schützen ihre Familien aus dem Jenseits

Im diffusen Licht des Kellers sind erste Körper in Wandnischen auszumachen. Die hohe Decke wölbt sich über dunkle Gänge, die die Mönche zur besseren Orientierung in „Corridoi“ eingeteilt haben. Korridore für die „Professionisti“ – Lehrer, Juristen, Künstler, Soldaten, Korridore für Frauen, Korridore für Kinder.

 

Manche Toten haben keine Namen.
Die Katakomben von Palermo sind nichts für schwache Nerven.

 

Gleich links befindet sich der Gang der „Frati“, der Mönche des Ordens. Sie waren die ersten, die ab 1599 hier beerdigt wurden. Als immer mehr Mönche dem Orden beitraten und der Platz auf dem Friedhof immer knapper wurde, beschlossen die Kapuziner ihre Toten im Gewölbe unter dem Kloster zu bestatten. Dabei bemerkten sie, dass sich die Körper der Verstorbenen, die sie bereits in die Gruft gebracht hatten, nicht zersetzten. Das trockene Klima und die besonderen Licht- und Luftverhältnisse verhinderten dies. Der zuständige Abt beschloss, die Toten zur Mahnung an Leben und Sterben in den Wandnischen aufstellen zu lassen.

Bald erfuhren Wohltäter des Klosters und wohlhabende Bürger Palermos von der Gruft und bestanden darauf, ihre Angehörigen ebenfalls hier zu bestatten. In dem unterirdischen Friedhof konnten sie ihre Verstorbenen regelmäßig besuchen, neu einkleiden und mit anderen um sie trauern. Viele Sizilianer glaubten und glauben daran, dass die Toten aus dem Jenseits ihre Familien beschützen.

Im „Sieb“ getrocknet

Damit die Körper der Verstorbenen erhalten blieben, wurden sie auf natürliche Weise ausgetrocknet. Dazu legte man sie auf Bänke in eines der „Colatoi“, zu Deutsch „Siebe“. Ein Colatoio ist heute noch zu besichtigen: Ein kleiner Raum im Kellergewölbe aus Tuffstein, einem porösen Stein, der wie ein Schwamm die Flüssigkeit des Leichnams aufnahm.

Nach etwa acht Monaten im Colatoio wurde der Körper herausgeholt, mit Essig gewaschen und für ein paar Tage ins Freie gebracht. Nun wurde der Verstorbene angekleidet und in einer Wandnische aufgestellt oder in einem Sarg aufgebahrt, so wie es der Verstorbene oder seine Verwandten vorgesehen hatten.

Viele sind heute noch erhalten. Mumifiziert, skelettiert, zur Stabilität mit Stroh gefüllt. Einige Köpfe der an der Wand befestigten Körper sind nach hinten gekippt, die leeren Augenhöhlen zur Decke oder auf die Besucher gerichtet, der Unterkiefer haltlos heruntergeklappt.

Nicht alle Besucher ertragen diesen Anblick. „Einige laufen nach dem Betreten der Katakomben sofort wieder hinaus“, sagt der Leiter des Museums, Fabrizio Fernandez. Andere hingegen kämen jeden Tag, um mit den Toten zu sprechen.

Am Ende des Mönchsgangs weist eine riesige Hinweistafel „Babygirl“ auf die Kapelle der „Heiligen Rosalia“ hin. Hier liegt eine der wohl besterhaltenen Mumien der Welt. Die zweijährige Rosalia Lombardo starb 1920 an der Spanischen Grippe. Ihr Vater war so unglücklich über ihren Tod, dass er die Mönche bat, seine Tochter in die Gruft aufzunehmen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Stadtverwaltung den Mönchen untersagt, die Toten weiterhin auszustellen und auf geschlossene Särge bestanden. Schließlich verbot sie die Beisetzungen in der Gruft ganz.

Für den trauernden Vater machten die Mönche eine Ausnahme. Rosalia wurde allerdings nicht in ein Colatoio gebracht, sondern von Alfredo Salafia, der zuvor schon mit Einbalsamierungen bekannt geworden war, mit einer Chemikalie präpariert. Das Mädchen sieht 90 Jahre nach seinem Tod noch immer so aus, als ob es in seinem mit Glas verschlossenen Sarg nur schlafe.

Wer war „PA 786 P6“?

Die vielen Toten, Menschen, die geliebt, gelacht, gestritten und sich schön gemacht hatten, sind beim Rundgang kaum wirklich zu erfassen. Viele Körper sind nur mit einer Nummer gekennzeichnet. „PA 786 P6“ steht auf dem kleinen vergilbten Zettel, der dem namenlosen Skelett, das mit einem braunen Jackett bekleidet ist, um den Hals hängt.

 

Auch 150 Jahre nach ihrem Tod ist der Körper von Maresca Basile noch gut erhalten.
2.000 zum Teil sehr gut erhaltene Mumien finden sich in der Gruft unter dem Kloster.

 

Namen machen Menschen auch nach dem Tod greifbarer. Der von Giuseppa Tornetta steht auf einem verwitterten Holzsarg im Frauengang. Und auch, dass sie mit 38 Jahren am 17.1.1878 verstarb. Durch ein vergittertes Fensterchen im Sarg blickt der Besucher auf Signora Tornettas Überreste, zusammengehalten von einem ehemals blau-weiß-karierten Kleid, eine verrutsche Schleife am dünnen Hals.

Wer war „PA 786 P6“, wer Giuseppa Tornetta, wer diese vielen Menschen, die keine Antworten auf die Fragen der Besucher geben können? Ihre unheimliche Präsenz zwingt zum Nachdenken über die Endlichkeit des Lebens.

Klimawandel lässt Mumien verfallen

50.000 Besucher steigen jährlich in die Katakomben hinab. Eine gute Einnahmequelle für den Kapuzinerorden. Doch die Besucher sind auch ein Problem. Sie fotografieren trotz Verbot mit Blitzlicht und bringen feuchte Atemluft mit.

Auch die globale Klimaveränderung dringt durch Mauern und Böden hinein. Die Auswirkungen sind sichtbar: Die Körper verfallen immer schneller. „Wenn wir nicht bald eine Möglichkeit finden, das Klima in den Katakomben zu regulieren, werden die Mumien in zehn Jahren nicht mehr zu besichtigen sein“, sagt Fernandez. Aber Ventilatoren und Feuchtigkeitsregulatoren kosten Geld. Mehr Geld, als der Orden durch die Eintrittsgelder aufbringen kann.

Auch die einbalsamierte Rosalia verändert sich. Ihre Gesichtshaut durchziehen seit kurzem dunkle Flecken, was von Experten mit Sorge beobachtet wird.

Nachdenklich geht es zurück nach oben. Nach all dem Vergänglichen Trost findend beim italienischen Poeten Ippolito Pindemonte, der die Katakomben 1777 besuchte und sich zu einem Gedicht inspiriert fühlte. Der letzte Satz von „I Sepolcri“  – die Grabmäler –  lautet: „Die beiden Welten trennt ein kleiner Durchgang, und nie waren Leben und Tod so freundschaftlich verbunden.“

Beim Hinaustreten ist der Himmel blauer, die Luft wärmer, das Knattern der Vespas belebende Musik. Es ist gut, wieder im Leben zu sein.

Info

Catacombe dei Cappuccini di Palermo, Piazza Cappuccini 1

Öffnungszeiten: täglich von 9 – 13 Uhr und 15 – 18 Uhr
Achtung: Von Ende Oktober bis Ende März sind die Katakomben am Sonntagnachmittag geschlossen.

Hinkommen: Wie man am besten hinkommt, steht auf der Website des Klosters unter www.catacombepalermo.it/visita/come-arrivare

Eintritt: 3 Euro

Fotos: JC, bitte Copyright beachten!

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